Das neue Rathaus als erster Bauabschnitt eines Verwal-
tungs und Kultur-Zentrums in der westfälischen Stadt Ah-
len ist ein Prototyp einer neuen Art von Verwaltungsbau-
ten.
Hier wurde der Versuch gemacht, den Verwaltungsbau
vergangener Jahrzehnte aus seiner Isolation herauszulö-
sen.
„Multifunktionalität“ – Mehrfachnutzung – auf der ganzen
Linie lautet die Devise, welcher sich die Stadt Ahlen ge-
meinsam mit den Architekten Dipl.-Ing. Brigitte und Chris-
toph Parade, Düsseldorf, verschrieben haben.
Das Kulturzentrum Ahlen dürfte einer der ersten Bauten in
der Bundesrepublik sein, bei welchem diese Zusammen-
fassung von Verwaltungs.- und Kultureinrichtungen zur
Wirklichkeit wird.
Das früher übliche Rathausfoyer als „Aufmarschplatz“ für
einige wenige Ratsveranstaltungen ist passé – sagen die
Düsseldorfer Architekten B. + C. Parade.
Das Rathausfoyer wird vielmehr zum Mittelpunkt eines
Kulturzentrums, um welches sich Ratssäle, spätere Stadt-
halle, Geschäfte und Stadtsparkasse gruppieren.
Überall in dieser Anlage kommt das „Mehr an Nutzung“
zum Ausdruck. Der große Sitzungssaal ist so konzipiert,
dass er gleichzeitig als Vortrags- und Filmsaal bei Veran-
staltungen der VHS oder als Kammermusiksaal genutzt
werden kann. An das Foyer direkt angeschlossen sind
außerdem die Stadtsparkasse, kleine Geschäfte sowie ein
Café-Restaurant, welches sowohl als Kantine für das Rat-
haus als auch für öffentliche Veranstaltungen dienen kann.
Alle diese Einrichtungen sind durch das gemeinsame Foy-
er, welches durch seine vielen versetzten Ebenen, seine
nteressanten Durch- und Ausblicke und durch die künst-
lerische Ausgestaltung der Treppen- und Brunnenanlage
einen besonderen Reizausstrahlt, miteinander verbunden.
Foyer und Restaurant schaffen auch die Verbindung zu
der zusätzlich geplanten Attraktion für die Stadt Ahlen –
die Freizeitanlage mit dem gestauten Werseweiher.
Bei der Schaffung dieses Weihers fanden architektoni-
sche Vorstellungen und technische Möglichkeiten eine
ideale Ergänzung.
Denn auch in der Energieversorgung ging die Stadt Ahlen
neue Wege und leistete damit einen ganz speziellen Bei-
trag zum Thema Energieeinsparung.
Durch die eingebaute Wärmepumpe welche das vorhan-
dene Wasser zum Kühlen und Heizen des gesamten Ge-
bäudes nutzt, gelingt es, über 100 000 l Öl pro Heizsaison
einzusparen.
Bereits im Februar 1978 findet aus diesem Grunde in Ah-
len eine Tagung statt, bei der sich Fachleute aus aller
Welt über diese neue Art der Energieeinsparung informie-
ren und ihre Erfahrungen austauschen.
Ein besonderer Schwerpunkt der Planung war jedoch
auch die Gestaltung der Außenanlagen. Auch hier wurde
vom allgemeinen Schema abgewichen: Hier sollte eine
echte Freizeit- und Erholungsanlage für Ahlen geschaffen
werden. Für das Rathaus selber bedeutet dies die bisher
wohl einmalige Verknüpfung von Arbeit und Erholung.
Das Gebiet der Außenanlagen umfasst außer der nähe-
ren Rathausumgebung den gesamten zentralen Uferbe-
reich der Werse. Das Gelände wird durch Erdwälle, Hü-
gel
und Senken zu einer interessanten Landschaft umge-
formt.
Dabei ist die künstlich geschaffene Wasserfläche mit
einer
kleinen Insel in der Mitte sicherlich von besonderer Attrakt-
ion.
So entstehen nicht nur Spazierpfade, Caféterrassen und
Ruhebereiche entlang des Wassers, sondern auch an etwas
sportlichere Aktivitäten, wie z. B. einen Trimmpfad ist ge-
dacht worden.
Aber auch die Art der Bepflanzung soll Außergewöhnliches
mit-
einbeziehen. Durch dieses vielfältige Angebot werden nicht
nur
die Angestellten des Rathauses während der Mittagspause
profitieren, sondern vor allem die Bürger der Stadt Er-
holungs möglichkeiten und Anreize finden.
Bei allen Überlegungen wurden jedoch die Probleme der
Behinderten nie außer Acht gelassen. Rampen statt Trep-
pen ermöglichen Rollstuhlfahrern und Personen mit Kinder-
wagen ein problemloses überqueren der Werse und gefahr-
lose Übergänge.auf die verschiedenen Ebenen.
Die äußere Gestaltung des Rathauses ist zurückhaltend.
Trotz seiner für Ahlen beträchtlichen Größe ist es durch
die plastische Gliederung der Baukörper sehr kleinmaß-
stäblich aufgebaut.
Auch die Wahl der Glasfassade spielt hier eine wesent-
liche Rolle: Die Baumasse wird eliminiert, die Altstadt
spiegelt sich damit ebenso wie Natur und Himmel.
Im Inneren sollte dagegen vor allem eine sterile Verwal-
tungs bauatmosphäre vermieden werden. So sind hier in
erster Linie natürliche Materialien wie Beton, roter Klinker,
weißer Rauhputz und viel Holz verwendet worden.
Alles in allem stellt der Schritt der Stadt Ahlen mit dem
Bau des Kultur- und Verwaltungszentrums einen Weg dar,
welcher allenfalls in den USA und in Holland seit einiger
Zeit beschritten wird und welcher in Deutschland noch in
den Kinderschuhen steckt.
Das erklärt aber auch das außerordentlich starke Interesse
an dieser Lösung, das inzwischen im In- und Ausland von
anderen Städten und Kommunen, aber auch von Fachleuten
bekundet wird. Davon zeugen nicht zuletzt auch die zahl-
reichen Veröffentlichungen in der entsprechenden Fach-
presse noch während der Planungs- und Bauzeit.
Es bleibt also nur zu hoffen, dass das Ahlener Beispiel
weiterhin Schule macht.
"Demokratische Gemeinde" 8/78